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29. Dezember 2012

Weil nicht sein kann, was nicht sein darf…

In den letzten Wochen habe ich viele Artikel gelesen, die sich mit einem Phänomen beschäftigen, das mir sehr gut bekannt ist: die erzwungene weihnachtliche Harmonie, die dazu führt, dass erwachsene Menschen sich gegen ihren Willen zu Leuten quälen, die sie nicht sehen wollen, um sich Dinge anzuhören, die sie nicht hören wollen. Das allein wäre schon ein Thema für sich. Doch bei all diesen unangenehmen (und fairerweise gebe ich zu: auch den vielen angenehmen) Besuchen bei Verwandten und Freunden geschehen so viele andere Dinge, die ich zuerst ansprechen möchte. Zunächst einmal sitzt man fast durchgehend mit wechselnden Personen an irgendwelchen Tischen, isst und trinkt zu viel, und tut aber noch etwas, was meiner Empfindung nach selten geworden ist: man unterhält sich – und zwar nicht nur über Oberflächliches. Meine These ist ja, dass das Essen aufgrund des Überangebots an Gerichten so lange dauert, dass man irgendwann gar keine andere Wahl hat, als eine richtige, inhaltlich interessante Unterhaltung zu führen – die dann oft im Streit endet.

Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es ein paar Themen und Argumentationsmuster gibt, die über die Weihnachtsfeiertage unvermeidlich sind. Meine persönliche Liste wird angeführt von einer Argumentationsweise, die einen interessanten Streitpunkt in der philosophischen Diskussion darstellt. Am weihnachtlichen Esstisch tritt sie in vielen Gestalten auf, allen voran

„Wir haben das immer so gemacht“,

„die Evolution/ Gott hat das mit gutem Grund so eingerichtet“, und

„Das ist halt so. Wenn du mal in meinem Alter bist, verstehst du das auch“.

Diese Sätze sind als Argument nur dann zu gebrauchen, wenn hinter ihnen die Annahme steht, dass etwas, das ist, gut so ist und auch so sein und bleiben soll. Überspitzt formuliert würde dass heißen, dass alles, was nicht sein darf, sowieso nicht ist. Und alles, was ist, ist dann auch gut so. In der weihnachtlichen Esstischvariante hieße das zum Beispiel:

„Frauen sollen hauptsächlich Mutter sein, weil sie es können und weil wir beobachten, dass sie es eben meistens sowieso schon tun.“ Schließlich wird der Status Quo schon einen Grund haben. Besonders Gott und Evolution (letztere ein wenig falsch verstanden) müssen hier als dieser Grund herhalten.

Auf einer rein formalen Ebene haben wir es hier mit einem naturalistischen Fehlschluss zu tun. Wir betrachten bloße alltägliche Tatsachen (z.B. Frauen, die meistens zu Hause bei ihren Kindern bleiben) und plötzlich taucht in der Folgerung etwas auf, was ein Sollen enthält (z.B. „Frauen sollen Hausfrauen sein“). Ein Argument dieser Form nennt man naturalistischen oder normativen Fehlschluss.

Durch die Wahl des doch etwas platten Beispiels kommt dieser Schluss hier nicht besonders gut weg. Und in der Tat halte ich ihn für ungültig und glaube, dass er seinen Namen zu recht trägt. Allerdings ist dieser Standpunkt eben auch nicht selbstverständlich. Gerade jemand, der die Vorstellung ablehnt, dass der Zufall in der Welt sein Unwesen treibt, könnte die These, dass es sich hier um einen Fehlschluss handelt, zurückweisen. Man könnte tatsächlich mit Gott argumentieren oder die Sache auch aus einer ganz anderen Richtung angehen und sich erst einmal fragen, was sollen überhaupt bedeutet und woher dieser Begriff seine scheinbare Autorität bezieht. Alles in allem bleibt nach meinen Weihnachtbesuchen die Frage zurück: können wir vom Sein (oder, etwas radikaler: auch überhaupt von irgendetwas) aufs Sollen schließen?

 

 

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