In einem Text aus dem Jahre 1958 schreibt G.E.M. Anscombe:
…no doubt if two nations are at war, at least one is unjust.
Ich finde diese Aussage sehr spannend, weil ich glaube, dass sehr viele Menschen ihr zustimmen werden. Gleichzeitig ist sie viel schwerer zu interpretieren, als es auf den ersten Blick aussieht.
Was sagt es uns über die Natur von Konflikten, die Kriegen zu Grunde liegen, wenn immer mindestens eine Seite ungerecht handelt?
1. Möglichkeit: Krieg zu beginnen ist immer Unrecht, deshalb handelt die Partei, die den Krieg beginnt, immer ungerecht, auch wenn sie der Sache nach im Recht ist. Die andere Partei handelt möglicherweise auch ungerecht, wenn sie der Sache nach im Unrecht ist und sich nicht sofort ergibt. Wenn wir so denken, müssten wir eigentlich Pazifisten sein, was mir persönlich sehr gefällt, aber Anscombe sicherlich im Grab rotieren lässt.
2. Möglichkeit: Krieg zu beginnen ist in Ordnung, wenn man der Sache nach im Recht ist. Dann ist aber immer mindestens eine Partei der Sache nach im Unrecht, denn mindestens eine Seite kämpft, so die Prämisse, ungerechterweise. Möglicherweise sind im Konflikt auch bei der Sache nach im Unrecht, aber niemals sind beide im Recht.
Die zweite Möglichkeit finde ich sehr spannend, weil ich glaube, dass nicht alle Menschen, die Anscombes Zitat zustimmen würden, gleichzeitig auch behaupten würden, dass es in einem Konflikt immer so etwas gibt wie objektiv im (Un)Recht sein. Dafür scheint mir die Ansicht, es dürfe sich doch ohnehin jeder seine eigene Moral zuammenbasteln, viel zu verbreitet zu sein. Dann müssten aber alle Menschen, die dem Anscombe-Zitat zustimmen, Pazifisten sein, was mich sehr verwundern würde.
Damit meinen Überlegungen ein bisschen mehr zu Grunde liegt als bloß ein bisschen Pseudo-Psychologie aus dem Lehnstuhl heraus, befrage ich nun also das Internet: Stimmt überhaupt jemand dem Anscombe-Zitat zu? Handelt in einem Krieg mindestens eine Seite ungerecht? Und falls ihr dem zustimmen solltet: eher unter der ersten (=Krieg ist sowieso ungerecht) oder der zweiten (=von mindestens einer Kriegspartei kann man sicher sagen, dass sie der Sache nach im Unrecht ist) Interpretation? Oder habe ich etwas übersehen?