Ich bin eigentlich der festen Überzeugung, dass mit der Frage nach dem Nutzen der Wissenschaft nichts zu gewinnen ist. Ob, wann und inwieweit eine Wissenschaft ein „nützliches“ Resultat hervorbringt, scheint mir kaum objektiven Kriterien zu unterliegen. Und, was noch viel schlimmer ist: Ich halte die Tatsache, dass Menschen Wissenschaft betreiben, um sich und die Welt zu verstehen, für eines der wenigen Dinge, mit denen sich der Mensch tatsächlich legitimerweise von „den Tieren“ abgrenzen lässt.
Ich werde jetzt aber trotzdem meinen Stolz runterschlucken und auf einen der zahlreichen Momente hinweisen, in denen ich denke: „Ein bisschen philosophische Bildung würde helfen!“
Zuletzt hatte ich diesen Gedanken bei der folgenden Schlagzeile auf ZEIT online:
Es gibt wahrscheinlich ungefähr so viele Positionen zur Wahrheit, wie es Philosophen gibt, also warum bin ich so schockiert davon, dass die ZEIT (oder vielleicht eher: Jemand, der von der ZEIT zitiert wird) verschiedene nebeneinander existierende Wahrheiten annimmt?
Ich bin so schockiert, weil ein wirklicher Wahrheitsrelativismus weitreichende Folgen hat. Würden alle Menschen, die im Alltag ernsthaft (!) die These „Es hat halt jeder seine eigene Wahrheit“ vertreten, wirklich verstehen, was aus dieser alles folgt, dann würden sie sich vielleicht überlegen, ob sie sich wirklich darauf verpflichten wollen.
Warum ist mir das so wichtig? Ich weiß ja schließlich, dass die meisten Menschen mit diesem Satz in etwa sowas meinen wie „Ich bleibe bei meiner Meinung, egal was du sagst.“. Warum bestehe ich also darauf, dass diese Leute dann auch den Begriff der Wahrheit in Ruhe lassen und das sagen, was sie wahrscheinlich meinen? Weil ich ein versnobter Philosoph bin?
Nein, mir ist das so wichtig, weil der Satz „Ich bleibe bei meiner Meinung, egal welche Argumente du mir präsentierst, die mich eigentlich von meiner Meinung abbringen müssten“ solche Gesprächspartner als das enttarnt, was sie in diesem Moment sind – nämlich stur und beratungsresistent. Der Satz „Jeder hat seine eigene Wahrheit“ hingegen wertet im schlimmsten Fall die Sturheit eines Gesprächspartners auf und lässt sie als eine tiefgründige Erkenntnis über das Verhältnis des Menschen zur Welt erscheinen. Und ich habe das starke Bedürfnis, diese Aufwertung aus der Alltagssprache zu tilgen. Hier kommt jetzt der Nutzen der Philosophie ins Spiel: Ich glaube auch, dass es der zwischenmenschlichen Kommunikation gut tun würde, wenn mehr Menschen diesen rhetorischen Trick erkennen würden, weil ihnen philosophische Bildung ermöglicht, dummes Geschwätz von einer echten Position über Wahrheit zu unterscheiden. Und vielleicht würde sich dann in einer Diskussion gelegentlich auch mal derjenige durchsetzen, der die besseren Argumente hat.